Anatomie Tiger

Zoologische und anatomische Untersuchung eines Tigers (Panthera tigris) im Sinne des Artenschutzes durch Dokumentation morphologischer, anatomischer und forensischer Daten und Befunde

Tiger weiblich, 12-jährig

Beurteilung anhand des Kurz-Videos

Es handelt sich um ein Tier der Zuchtrasse „weißer Tiger“ mit sehr heller bis weißer Grundfärbung des Fells bei deutlicher Ausprägung der arttypischen Streifung. Die linke Hintergliedmaße befindet sich in permanenter Streckstellung und dient nur noch als wenig belastbare Stützhilfe, die in der hochgradig eingeschränkten Bewegung eher wirkt wie eine fehl konstruierte Prothese.

Befunde am knöchernen Skelett und deren pathologische Beurteilung

 

 

Hüftgelenke:
Das linke Hüftgelenk zeigt das typische Bild einer ausgeprägten Koxarthrose in Folge einer Hüftgelenksdysplasie. Der Femurkopf ist entrundet, abgeflacht und reduziert vom Hals abgesetzt. Es zeigen sich an den typischen Lokalisationen – Fossa intertrochanterica, Kragen- und Morganlinie – deutliche arthrotische Zubildungen. Korrespondierend dazu finden sich arthrotische Zubildungen um das Acetabulum, insbesondere um den kranialen und kaudalen Rand. Als Jungtier lag hier eine Inkongruenz, schlechte Überdachung und Instabilität vor, die im Laufe des Lebens zu den oben beschriebenen Veränderungen geführt haben.

Kniegelenke:

Die Kondylen des linken Femur sind hochgradig reduziert, was entweder entwicklungs- oder höchst degenerativ bedingt sein kann. Der Sulcus patellae am linken Femur und damit die Führung der Kniescheibe fehlen.

 

Die linke Tibia (Schienbein) zeigt eine Innenrotation, wodurch der Ansatzpunkt des geraden Kniescheibenbandes deutlich nach medial verlagert ist, was letztlich zu einer Patellaluxation nach medial geführt hat. Die Patella zeigt das typische Bild einer chronisch luxierten und im Laufe der Jahre hochgradig arrodierten Oberfläche, die nicht in einem regulären Knorpel-Knorpel-Kontakt, sondern auf blankem Knochen läuft. Im Seitenvergleich zeigt der linke Oberschenkel eine reduzierte Biegung nach lateral, zudem ist die Winkelung des Femurhalses abnorm. 

Ellenbogengelenke:

Das rechte Ellenbogengelenk weist viele Merkmale einer beim Hund wohlbekannten Ellbogengelenkdysplasie auf: der mediale Proc. coronoideus wirkt verkürzt und inhomogen aufgetrieben (mediale Koronoiderkrankung). Zudem zeigen sich deutliche arthrotische Veränderungen an den bekannten Prädilektionsstellen (Proc. anconaeus, kranialer Radiuskopf). Eine fragliche Inkongruenz zwischen Radius und Ulna lässt sich nicht sicher beurteilen. 

Brustwirbelkörper:

Die Wirbelkörper im kaudalen Hals- und kranialen Thoraxbereich weisen lateral und ventral mäßige bis hochgradige Exostosen auf.

 

Die kranialen und kaudalen Processus articulares (Gelenkfortsätze) der Brustwirbel, sind nur noch in Ansätzen vorhanden oder fehlen vollständig. Die Gelenke sind teilweise auf rudimentäre Flächen reduziert.

Schädelanatomie:

Eine morphologische Besonderheit weist der Unterkiefer der Tigerin auf: Der Rand des Corpus mandibulae erinnert eher an den Unterkiefer eines Löwen.

Die ventrale Kontur des Unterkiefers ist im Gegensatz zur arttypischen Form (s. Bild 20 links) nicht konkav, sondern weitgehend plan: Auf einer geraden Unterlage steht der Unterkiefer fest. Der Löwenunterkiefer ist an seinem ventralen Rand nur mäßig konvex liegt auf einer geraden Unterlage jedoch nicht fest auf. Nur die Form des Os nasale, lässt auf einen Tiger schließen. Die Canini sind deutlich erkenn - bzw. messbar dem Typus Löwe zuzuordnen. Das Rostrum des untersuchten Exemplars ist für einen zwölfjährigen Tiger schwach ausgebildet. Das Gewicht des Schädels beträgt nur 740 g bei einer Schädellänge von ca. 30 cm.

Abschließende Beurteilung

 

Das zu beurteilende Skelett weist linksseitig eine hochgradige Hüftgelenksdysplasie auf mit daraus resultierender Koxarthrose sowie eine gleichseitige mediale Patellaluxation mitsamt ihren Folgen. Die Belastbarkeit der linken Hintergliedmaße war dadurch hochgradig eingeschränkt (s. Video) und Ursache chronischer Schmerzen, die mit zunehmendem Alter noch zugenommen haben dürften.

Es ist davon auszugehen, dass, die pathologischen Skelettveränderungen kongenitalen Ursprungs sind, also durch Inzucht bedingt. Die Tigerin ist demnach das Produkt einer Qualzucht.

Davon abgesehen: Ein Tier mit derart massiver Bewegungsbehinderung über immerhin 12 leidvolle Jahre zu halten, ist ethisch nicht vertretbar. Die krankhaften Veränderungen hätten viel früher zur tierschutzgerechten Beendigung des chronischen Leidens führen müssen.

 

Es sei angemerkt, dass sämtliche weißen Tiger in den USA auf einen einzigen Tiger namens „Mohan“ zurückgehen sollen.

Zusätzliche Information: Die gesamte Anatomie des Tigers (vollständiges Skelett) kann von wissenschaftlich arbeitenden Institutionen übernommen werden. Freundliche Anfragen werden gerne beantwortet.